Graubündner Kantonalbank

Die Befürchtung einer Deglobalisierungs-Welle ist übertrieben

Datum: 12.09.2022 
Autor: Roman Bättig

​Die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben die Nachteile und Risiken einer stark auf ein Land konzentrierten Produktion klar aufgezeigt. Einiges spricht derzeit für eine Umkehr der Globalisierung – also eine Deglobalisierung. Im nachfolgenden Artikel gehen wir auf die aktuellen Entwicklungen ein und zeigen die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft auf.


Wie kann man Deglobalisierung messen?
Deglobalisierung – also die geringere Verflechtung internationaler Handelsströme - ist derzeit ein viel diskutiertes und zugleich schwer greifbares Phänomen. Seit dem Brexit im Jahr 2016 steigt die Zahl veröffentlichter Studien zum Thema rasant an. Der Krieg in der Ukraine und die Corona-Pandemie haben die Diskussionen nochmals intensiviert. Nun stellt sich die Frage, wie Deglobalisierung gemessen werden kann. Ein weit verbreiteter Indikator ist das Verhältnis zwischen der Handelsaktivität und dem Bruttoinlandprodukt.

 

Globaler Handel im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung

 

Abnehmender Handel zwischen den Staaten kann als Zeichen der wirtschaftlichen Entflechtung interpretiert werden. Weniger Handel im Verhältnis zum Wirtschaftswachstum bedeutet stärkerer Fokus auf Wachstum im Inland.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass vor allem die Phase nach 1990 auffallend ist. Getrieben vom technologischen Fortschritt erlebten wir eine regelrechte Globalisierungswelle. Aktuell lässt sich aber wieder eine Verlangsamung des globalen Handels feststellen. Es ist jedoch ein grosser Schritt von einer schwächeren Globalisierung hin zu einer Deglobalisierung. Letzteres bedeutet konkret den Wechsel von Zulieferern beispielsweise aus Schwellenländern hin zu Zulieferern aus der Schweiz.


Was sind die ökonomischen Auswirkungen?
Das Erreichen des Höhepunkts der Globalisierung ist nicht zwingend ein Grund zur Sorge für das globale Wirtschaftswachstum. Im Gegenteil: technologische Fortschritte, welche die Globalisierung vorantreiben, fördern die Produktivität. Durch Automatisierung werden Arbeits- und Produktionskosten reduziert. Diese Effekte wirken auch in Zukunft. Die nachfolgende Abbildung zeigt mögliche Szenarien für die weitere Entwicklung der Globalisierung und die Auswirkungen auf die Wirtschaft.

 

Globalisierung makroökonomische Variablen

 

In den meisten Szenarien sind die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft nur leicht negativ. Ein bescheidenes Mass an Regionalisierung stellt also kein grosses Problem dar. Ein grosser Teil des Welthandels findet bereits jetzt zwischen Nachbarländern statt. Spannend ist, dass die Inflation in den meisten Fällen kaum höher ausfallen sollte. Erst eine komplette Abkehr der Globalisierung durch starke Regionalisierung würde die Preise ansteigen lassen. Insbesondere in Ländern mit wenig technologischem Fortschritt wirken höhere Arbeitskosten preistreibend. Von Extremszenarien sind wir aktuell weit entfernt. Die Auswirkungen auf die Wirtschaftsentwicklung halten sich in der Summe somit in Grenzen.


Aktuelle Entwicklungen
Momentan befinden wir uns in einer Phase der Verlangsamung der globalen Vernetzung. In diesem Zusammenhang wird von «Slowbalisation» gesprochen. Brexit, Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine sind die Hauptursachen für die jetzige Entwicklung. Eine rasche Umkehr der Globalisierung hin zu einer starken Regionalisierung lässt sich allerdings nicht erkennen. Fest steht jedoch, dass die aktuellen Entwicklungen einige Unternehmen zu einem Umdenken veranlasst haben. Neue Fabriken werden tendenziell weniger in weit entfernten Schwellenländern gebaut, sondern in näher liegenden Regionen. Das hat auch den Vorteil von tieferen Transportkosten. Nach wie vor wichtig in der Standortbestimmung neuer Fabriken ist die Qualität der Produkte. Wenn die Qualität stimmt, sind Unternehmen weiterhin bereit, ihre Produktion im Ausland zu belassen. Grosse Elektronikhersteller wenden sich derzeit beispielsweise von China ab und verschieben Produktionen in andere asiatische Länder wie Thailand oder Vietnam. Bekleidungsfirmen verlagern ihre Produktion ebenfalls innerhalb von Asien. Obwohl viele Unternehmen ihre Fertigung aus China verlagern, entscheiden sich nur wenige für einen vollständigen Rückzug. Die meisten verteilen ihre Produktion auf mehrere Länder, was die Widerstandsfähigkeit der Produktions- und Lieferketten erhöht. Wir erwarten also eine breitere Diversifikation der internationalen Lieferketten - aber keine Deglobalisierung im grossen Stil.


Fazit
Für Anlegerinnen und Anleger bedeutet dies, dass die Befürchtung einer Deglobalisierungs-Welle übertrieben ist. Die Globalisierung schwächt sich zwar ab - eine Umkehr ist aber nicht zu erwarten. Das Verteilen der Produktion auf mehrere Länder ist das wahrscheinlichere Szenario. Die aktuellen Entwicklungen bringen Chancen mit sich. Insbesondere im Bereich der Technologien. Unternehmen, die auf Prozessautomatisierung und Robotik spezialisiert sind, profitieren derzeit. Gerade in der Schweiz sind einige der weltweit führenden Unternehmen in diesem Bereich beheimatet.


Gemeinsam wachsen.