Jens Korte, massive Störungen der Handelsströme
durch die Blockade im Suezkanal haben die Anfälligkeit von Lieferketten wieder
in Erinnerung gerufen. Wie schätzen Sie die Lage in den USA ein?
Als der Suezkanal
blockiert war, hat das den globalen Handel zeitweilig 400 Millionen Dollar pro
Stunde gekostet, also neun Milliarden Dollar pro Tag. Nike zum Beispiel musste
wegen dieser Blockade eine Umsatzeinbusse im ersten Quartal hinnehmen. Aber ganz
grundsätzlich hat die amerikanische Wirtschaft enorm schnell aus dem
Pandemie-Tief zurückgefunden, sie wird also diesen Suez-Shock relativ gut
verdauen können. Wie stark die US-Wirtschaft zurückgefunden hat und wie wichtig
die Seefracht ist, zeigen Zahlen aus den Häfen Kaliforniens: Im Jahr 2019
wurden dort rund eine Million Containerschiffe abgefertigt. Im letzten Jahr
waren es rund 900‘000 Schiffe pro Monat. Ein enormes Wachstum, welches auch
zeigt, wie wichtig die Seefracht ist. Die grossen Auswirkungen wegen der
Blockade im Suezkanal dürften aber ausbleiben, nicht zuletzt weil der Kanal
jetzt wieder frei ist.
Auch die Autoindustrie hat in Bezug auf die Lieferketten
derzeit große Probleme. Autobauer haben in der Corona-Krise viele Halbleiterbestellungen
storniert. Nun ist die Nachfrage wieder da, aber die Halbleiter fehlen. Wie
akut ist dieses Problem in den USA?
Das Problem ist auch
hier gravierend. Die Halbleiter sind praktisch fürs ganze Jahr 2021 ausverkauft
und die Autobauer gehen leer aus, weil sie eben mitten in der Pandemie 2020
grosse Bestellungen storniert haben. General Motors muss einen Teil ihrer
Neuwagen auf riesige Parkplätze stellen und warten, bis sie die Chips zum
Einbau geliefert bekommen. Nun hat Intel, einer der grossen Halbleiterproduzenten,
angekündigt, dass man im Bundesstaat Arizona 20 Milliarden Dollar in zwei neue
Produktionsstätten investieren wolle. Und dort nicht nur Computerchips für die
eigenen Produkte, sondern auch für Drittanbieter produzieren werde. Der akute
Engpass wird sich damit aber nicht lösen lassen, denn bis ein solches Werk
läuft, kann es gut zwei Jahre dauern.
Ob nun Blockade im Suezkanal oder fehlende
Halbleiter, die Aktienmärkte scheint das nur begrenzt zu beunruhigen. Wie
schätzen Sie derzeit die Lage an der Wall Street ein?
Das erstaunt
tatsächlich, die Investoren lassen sich von nichts abschrecken. Natürlich, die
amerikanische Wirtschaft hat sich zügig erholt. Für dieses Jahr wird ein
Wirtschaftswachstum von rund sechs Prozent prognostiziert. Das wäre das beste
Wachstum seit Mitte der Achtzigerjahre. Zudem hat die amerikanische Notenbank
signalisiert, dass das Geld billig bleibt. Auch das treibt weiterhin viel Geld
in die Märkte. Und eine Hyperinflation sehen wir derzeit auch nicht. Insofern ist
das Umfeld recht positiv. Trotzdem erstaunt es, dass selbst die jüngsten
Probleme, zum Beispiel, dass jetzt in den USA der erste Hedge Fund hoch
gegangen ist, nur zu einem kurzen Kurswackler geführt hat. Der Optimismus ist
also ungebrochen und die Investoren scheinen sämtliche Risiken auszublenden.